GNU Health ist eine freie Open Source- Ordinationssoftware. Ursprünglich als freies Krankenhaus- und Gesundheitsinformationssystem für Ent- wicklungsländer konzipiert, interessieren sich nun immer mehr Kolleg*innen auch in Österreich für dieses „Allgemeingut“ und die Philosophie dahinter.
Von Edgar Hagenbichler, erstmals veröffentlicht in doktor in wien in 3/2018 unter CC-BY-SA
Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit und damit Open Government werden durch die vier Softwarefreiheiten ermöglicht. Diese erlau- ben,
1. das Programm selbst für jeden Zweck zu verwenden, also keinen Lizenzbeschränkungen zu unterliegen,
2. das Programm zu untersuchen (dafür nötig: Open Source mit einem für jeden lesbaren Programmcode),
3. das Programm zu kopieren und weiterzugeben, sowie
4. das Programm zu verbessern und auch verbessert weiterzugeben.
GNU Artificial Intelligence (GNU AI) sind Programme, in denen AI-Methoden verwendet werden und die unter der freien GNU General Public License freigegeben sind. Das Wort GNU selbst ist ein witziges rekursives Akronym, also eine auf sich selbst verweisende Abkürzung aus den ersten Buchstaben der Worte „GNU’s Not Unix“: „GNU ist nicht Unix“ (ein Computer- Betriebssystem). GNU/LINUX ist ein vor allem für Server weit verbreitetes Betriebssystem, auch für Websiten wird es sehr oft verwendet. Der Zugriff auf den Server geht aber auch unter Windows oder macOS (Apple) mit GNU oder Nicht-GNU Client-Programmen.
Eine Softwarefirma darf im Rahmen der vier Freiheiten natürlich auch einen Preis für eine DVD oder einen USB-Stick mit dem GNU Programm festsetzen, solange die vier Softwarefreiheiten für die Nutzer weiterbestehen. Damit werden De-facto-Monopolisten wie Microsoft eingeschränkt, weil eine Alternative zur Monopolsoftware existiert.
Wie wir leider wissen, ist Windows unsicher, da es eingebaute Sicherheitslücken aufweist, die von Geheimdiensten genutzt werden konnten (und vermutlich andere, die nach wie vor genutzt werden können). Nicht nur Industriespionage, sondern auch Erpressbarkeit mit staatlich gehackten Gesundheitsdaten können die Folge sein. Der spanische Arzt Luis Falcon hat daher GNU Health im Rahmen der NGO Gnusolidario entwickelt und den großflächigen Einsatz der Software in Ländern wie Jamaika und Laos ermöglicht, aber auch Projekte in Argentinien, Brasilien, Gabun, Kamerun, Kongo, Pakistan, Philippinen oder Südafrika umgesetzt.
Was muss so eine Software leisten?
Hier die acht Punkte:
1. Sie muss natürlich kompatibel mit anderen Ordinationsprogrammen sein. Der Export- Normdatensatz (ENDS) ermöglicht standardisiert das Importieren und Exportieren der bisherigen Patientenkartei. Die Ärztekammer hat den ENDS 2008 veröffentlicht und überarbeitet ihn derzeit.
2. Die Abrechnung mit den Krankenkassen muss unterstützt werden.
3. Die E-Card muss unterstützt werden. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger stellt die Spezifikationen dafür auf seiner Homepage bereit.
4. Eine echte Sicherheit mit Verschlüsselung, wie beispielsweise mit GNU Privacy Guard, sowie die Unterstützung der Umsetzung der Europäischen Datenschutzgrundverordnung, die ab 25. Mai 2018 anzuwenden ist, sind nötig.
5. Die Anforderungen aus ELGA, wie beispielsweise E-AUM (Elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung), E-Medikation oder Laborbefundübermittlung, müssen erfüllt werden.
6. Die Umsetzung der Registrierkassenverordnung muss möglich sein.
7. Die Integration der Funktionalitäten des XDOK-Programms des Gesundheitsministeriums für die Ambulanzdokumentation muss gegeben sein.
8. Für alle Module sind natürlich gleichermaßen die Anforderungen an Softwareergonomie nach ISO 9241-110 zu erfüllen. Eingabefehler werden toleriert und schnell erkannt, eine intuitive Menüführung liegt vor, das Programm unterstützt die User kontextabhängig.
In Österreich gibt es bereits einen Anbieter, der eine Open Source-Ordinationssoftware entwickelt hat: elexis austria. In Wien unterstützt die Firma Plumnetworks die Implementierung. Allerdings wird dann für die Krankenkassenabrechnung ein Closed Source-Modul nötig, also Module ohne die Softwarefreiheiten, und weder die ECard noch ELGA-Anforderungen sind bislang integriert. Einige Wahlärzte nutzen elexis austria bereits.
GNU Health wird nicht nur in Entwicklungsländern eingesetzt. Im deutschsprachigen Raum verwendet es zum Beispiel die Pflasterstube in Kaiserslautern, eine Obdachlosenbetreuung, vergleichbar mit dem neunerhaus in Wien. In GNU Health ist bereits ein Laborinformationssystem integriert, und der HL7-FHIR-Standard ist implementiert. Das Programm hat 2011 den Free Software-Award erhalten und 2016 den OSBAR, den Open Source Business Award.
Eine der kommenden Herausforderungen der Medizin des 21. Jahrhunderts stellt der Einsatz von AI-Methoden dar. 2011 schlug das Programm Watson von IBM die besten Jeopardy- Spieler, ein Quiz in den USA, vergleichbar mit Wer wird Millionär. 2016 gelang Google mit AlphaGo der Sieg in der letzten Domäne, die bis dahin noch dem Menschen vorbehalten war, dem GoSpiel, einem asiatischen Brettspiel. Und im Dezember vorigen Jahres hat Google be- kannt gegeben, dass innerhalb weniger Stunden Training des neuronalen Netzes von AlphaZero die Spielstärke des bis dahin besten Schachcomputers übertroffen wurde.
Seit Längerem schon versuchen die Softwarekonzerne, ihre AI-Programme auch in der Medizin zu vermarkten. Teilbereiche, wie vollautomatische EKG-Befundung in Defibrillatoren zur Laienbenutzung, sind schon lange großflächig im Einsatz. Der Einsatz von AI in der Telemedizin, wie beispielsweise in der Radiologiebefundung, wird aber kontroversiell gesehen, nicht zuletzt wegen noch offener Haftungsfragen. Sinnvolle Einsätze für AI in der Medizin gibt es jedenfalls genug, zum Beispiel für die Administration und Qualitätssicherung bei der Wahlarztabrechnung oder bei der Kostenrückerstattung von Wahlarzthonoraren.
Aber auch im Rahmen von ELGA wäre AI sinnvoll einzusetzen, etwa bei der Erstellung einer übersichtlichen Patient Summary. Auch hier müssen wieder Haftungsfragen berücksichtigt werden. Und generell kann AI bei Diagnostik und Therapie im Sinne eines „Expertensystems“ auf seltene Erkrankungen oder unerwünschte Wirkungen aufmerksam machen.
Die IT-Services der Sozialversicherung haben Ende September vorigen Jahres eine Auftragsbekanntmachung EUweit ausgeschrieben, in der sie Partner zur Beratung und Umsetzung von AI-Fällen in der Sozialversicherung suchen. Wollen wir hoffen, dass damit auch ELGA verbessert wird und dass dies transparent und unter Einbeziehung der Ärzteschaft erfolgt.
GNU AI wäre dafür eine Lösung.
Edgar Hagenbichler ist stellvertretender Referent für medizinisches Internet und Telematik in der Wiener Ärztekammer