Gesundheitspolitische Leitlinien der GRÜNEN
Grundlage dieser Leitlinien bildet ein sehr umfangreicher Diskussionsentwurf „gesunde Gedanken“, den wir mit Hilfe vieler Expertinnen und Experten erstellten.
Inhalt:
Vorwort: Ökologie
1. Ökologisch – Gesunde Lebenswelten
1.1. Gesundheitsförderung und Prävention
1.2. Umweltmedizin
1.3. Gesunde Ernährung
Selbstbestimmung
2. Selbstbestimmt – Gesundheit und Menschenrechte
2.1. Soziale und gesundheitliche Gerechtigkeit
2.2. Stärkung der PatientInnenrechte
2.3. Behandlungsschäden – Modell einer neuen Medizinhaftung
2.4. GATS und Gesundheit
Basisdemokratie
3. Basisdemokratisch – Mitbestimmung und Information
3.1 Komplementärmedizin – Ganzheitsmedizin
3.2. Arbeitsmedizin und betriebliche Gesundheitsförderung
3.3. Kampf gegen Defizite und Ärgernisse Arbeitsbedingungen Gesundheitsberufe Ärztliche Privathonorare Qualitätssicherung medizinischer Gutachten und forensische Medizin
Feminismus
4. Feministisch – Gesundheit aus Genderperspektive
4.1. Frauen und Gesundheitspolitik
4.2. Männer und Gesundheitspolitik
4.3. Neues Rollenbild für Gesundheitsberufe
Solidarität
5. Solidarisch
5.1. Kindergesundheit
5.2. Alte Menschen – Geriatrie
5.3. Menschen mit Behinderungen
5.4. Psychisch Kranke und Psychiatriereform
5.5. Palliativmedizin – Hospiz Gedanke
5.6. Dritte Welt – Gesundheit und Entwicklungspolitik
Nachhaltigkeit
6. Nachhaltigkeit – für die Zukunft
6.1. Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen
6.2. Strukturreform Rückbesinnung auf die eigentlichen Aufgaben der Spitäler Reform von Verwaltungs- und Leitungsstrukturen
6.3. Finanzierung der Solidargemeinschaft und Kassensysteme Selbstbehalte – unsozial und kontraproduktiv Solidarische Finanzierung
Vorwort
Grundlage dieser Leitlinien bildet ein sehr umfangreicher Diskussionsentwurf „gesunde Gedanken“, den wir vor über einem Jahr mit Hilfe vieler Expert*innen erstellten. GRÜNE Gesinnung und GRÜNE Werthaltungen sollen trotz einschneidender Kürzungen spürbar bleiben. Es war der Wunsch, hier GRÜNE Positionen und Schwerpunkte zu schärfen, nicht aber für Alles und Jedes endgültige Lösungen anzubieten. Die Wahl der Themen wurde bewusst den fünf traditionellen Grundprinzipien der GRÜNEN, ökologisch, selbstbestimmt, basisdemokratisch, feministisch, solidarisch und nachhaltig zugeordnet. Mehr als die Errungenschaften der Medizin und Naturwissenschaften entscheiden Einkommen, Bildung, Arbeits- und Wohnverhältnisse, soziale Integration und Umweltfaktoren über unsere Gesundheit. Schon deshalb lässt sich Gesundheitspolitik nicht auf Ärzt*innen, Gesundheitsberufe, ein Ministerium oder Staatssekretariat und Medizinökonomie reduzieren. Gesundheit ist mehr als andere Politikbereiche eine Querschnittsmaterie, die uns ALLE angeht und auch Anliegen aller sein soll. Diese gesamtheitliche Sicht, nachhaltige Strategien und die verstärkte Einbeziehung sozialer und psychischer Faktoren kennzeichnen GRÜNE Gesundheitspolitik. Gesundheit kann nicht allein durch Verhaltensänderungen bewirkt werden, entscheidend ist vielmehr eine Änderung der Verhältnisse unter denen wir leben. Chancengleichheit und Solidarität können daher nicht kritiklos den Regeln des Marktes überantwortet werden, sondern bedürfen einer langfristigen Finanzierungssicherheit.
Es bleibt eine Kernaufgabe des Staates hier jene Rahmenbedingungen zu garantieren, die den einkommensunabhängigen, nicht diskriminierenden Zugang zu Gesundheitsleistungen ermöglichen. Die Debatte über ethische Fragen der Medizin und Naturwissenschaft ist kontrovers. Gegenseitiger Respekt und Toleranz verbunden mit einem besseren Wissen um die vielfältigen Probleme werden notwendig sein, um hier einen konstruktiven Dialog zu führen. Diese Debatte soll demnächst begonnen werden und duldet keinen weiteren Aufschub.
Kurt Grünewald
Ökologie
Gesundheitspolitik orientiert sich auch an der Bewahrung unserer Lebensgrundlagen. Wir tragen daher Verantwortung für eine intakte Lebensumwelt und wollen die damit verbundenen Chancen auf Gesundheit nutzen.
1. Gesunde Lebenswelten
1.1. Gesundheitsförderung und Prävention
GRÜNE Gesundheitsförderung begreift sich als ein Konzept, das auf die positive Definition von Gesundheit als Gestaltungskraft und Bewältigungsfähigkeit setzt. Krankheit ist nicht, wie manche meinen, vorwiegend eine Frage der Selbstverschuldung. „Ungesundes Leben“ ist weniger Ausdruck gewollten oder ignoranten Handelns, sondern leider zu oft Resultat spezifischer Lebensbedingungen, über die nicht jede/r autonom verfügen kann.
Wir unterstützen daher nachdrücklich die WHO-Resolution, in der es heißt: „Grundlegende Bedingungen und konstituierende Momente der Gesundheit sind Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung, Einkommen, ein stabiles Ökosystem, eine sorgfältige Behandlung der vorhandenen Energiequellen, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Jede Verbesserung der Gesundheit kann nur von einer solchen Basis aus erreicht werden“. Daher betrachten wir Prävention auch als besseres Verständnis von gesundheitlichem Handeln im Alltag. Wir respektieren und unterstützen dabei Eigenverantwortung als Ausdruck menschlicher Würde, Freiheit und Entwicklung. Gesundheitsvorsorge muss für uns daher eine mehrstufige sein: primäre Prävention (Krankheitsvermeidung), sekundäre Prävention (Möglichkeit der Krankheitsfrüherkennung wie z.B. Vorsorgeuntersuchungen) und tertiäre Prävention (nachhaltige Heilung, Bekämpfung von Rückfällen und Förderung der Rehabilitation). Wir kämpfen daher für mehr Aufklärung durch Vermittlung von Wissen und Orientierung und für die Stärkung der Patient*inneninteressen in gesundheitlichen Fragen. Ein grünes Gesundheitsprogramm soll alle Menschen in ihren alltäglichen Lebenszusammenhängen, sowie einzelne Risikogruppen, erfassen. GRÜNE Gesundheitsförderung erkennt, dass kein politischer (z.B. Sozial-, Umwelt-, Verkehrs-, Landwirtschaftspolitik etc.) noch gesellschaftlicher Bereich (z.B. Frauen, Arbeitsrecht, Städteplanung, Wohnbau etc.) existiert, der nicht Gesundheitsfragen berührt. Daraus leitet sich unsere Forderung ab, jede politische Maßnahme auf ihren gesundheitsfördernden bzw. krankmachenden Einfluss zu prüfen. Eine Gestaltung des Gesundheitswesens allein oder vorwiegend den Regeln des freien Marktes zu überantworten, ist als kurzsichtig und falsch abzulehnen. Wir GRÜNE wollen hier den Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen.
1.2. Umweltmedizin
GRÜNE Umweltmedizin erkennt neben physischen auch psychische und soziale Ursachen als wesentliche Faktoren, die über Gesundheit oder Krankheit entscheiden. Das Individuum in seiner Beziehung zur „Umwelt“ muss Gegenstand einer zeitgemäßen und sozialen Gesundheitspolitik sein. Umweltmedizin beschäftigt sich vor allem mit gesundheitsfördernden Wohn- und Arbeitsplatzsituationen und den Problemkreisen Abgase und Umweltgifte, Lärm, Strahlenbelastung und dem Erhalt der Schadstofffreiheit von Luft und Wasser.
1.3. Gesunde Ernährung
Das Recht auf gesunde Ernährung ist für uns GRÜNE unverzichtbarer Teil der Gesundheitspolitik. Statt ökologische Landwirtschaft stärker zu fördern, führen Umweltbelastungen sowie risikobehaftete Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln zur Gesundheitsgefährdung der KonsumentInnen. GRÜNE Lebensmittelpolitik ist daher immer Bestandteil GRÜNER Landwirtschafts-, GRÜNER Gesundheits- und Forschungspolitik und GRÜNER Umweltpolitik.
GRÜNEN Lebensmittelpolitik orientiert sich an folgenden Eckpfeilern:
- Umfassende Information über gesunde Ernährung und Zusammensetzung von Lebensmitteln
- Ausreichende Kontrolle, um eine Stärkung der KonsumentInneninteressen zu erreichen
- Bündelung aller Kontrollkompetenzen des Lebensmittel- und Veterinärbereiches in einem Ressort
- Öffentliche Forschungsförderung zu aktuellen Fragen der Lebensmittelsicherheit
- Umorientierung in Richtung biologischer Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion
- Garantie der artgerechten Tierhaltung
- Verzicht auf risikobehaftete Gentechnik und Lebensmittelbestrahlung
- Minimierung des präventiven Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung und Verbot von Antibiotika als Wachstumsförderer in Futtermitteln
- Verbreiterung des Angebotes biologisch einwandfreier Lebensmittel insbesondere in Schulen, Krankenhäusern, Heim- und Pflegeeinrichtungen und Kantinen.
2. Gesundheit und Menschenrechte
Selbstbestimmt
- Angebote schichtspezifischer Maßnahmen (Netzwerken für und mit sozial Benachteiligten)
- Besonderes Augenmerk ist den Benachteiligten im gegenwärtigen Gesundheitssystem zu widmen (Alleinerzieher*innen, Mindestrentner*innen, Arbeits- und Obdachlosen, Migrant*innen und kinderreichen Familien )
- Schaffung eines niederschwelligen Zugangs zu Bildungseinrichtungen, Informations- und Beratungsstellen für Risikogruppen
- Maßnahmen des bewussten und maßvollen Umgangs mit Alkohol, Nikotin und Medikamenten. Verbesserte Therapiemöglichkeiten für Suchtkranke statt deren Diskriminierung
- Beibehaltung des Solidarprinzips und der bundesweiten Pflichtversicherung
- Humanisierung der Arbeitsbedingungen, gerechtere Entlohnung und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
- Verbesserte Wohnbedingungen (Verkehr, Schadstoffbelastungen, Bausubstanz, Hygiene)
Verbesserung der Lebensbedingungen für benachteiligte Kinder und Jugendliche Wir GRÜNE setzen uns daher für die Schaffung bedürfnisorientierter, durchsetzbarer Patient*innenrechte ein. Dazu bedarf es der Bereitstellung eines effektiven Rechtschutzes zur Umsetzung materiellen Rechtes und der Schaffung eines bundesweiten, einheitlichen, verfassungsrechtlich abgesicherten Kataloges von Patient*innenrechten im Rahmen eines verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechtsschutzes. Dies ist nicht nur im akuten Behandlungsbereich, sondern auch gegenüber Sozialeinrichtungen, sowie mobilen Hilfs- und ambulanten Pflegediensten mit ausreichender Verbindlichkeit anzustreben. Zur Wahrung, Sicherung und Durchsetzung der Patient*innenrechte und –interessen müssen weisungsfreie und unabhängige Patient*innenvertretungen und –Anwaltschaften gestärkt und ihre Ressourcen verbessert werden. Unterschiedliche Kompetenzen und Möglichkeiten dieser Einrichtungen sind bundeseinheitlich zu harmonisieren und auf höherem Niveau zusammenzuführen. Im Sinne des „Patient*innenrechtes“ ist auch die Qualitätssicherung im Gesundheitswesen zu verstehen. Aufgrund hier existierender Mängel und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlicher gesetzlicher Vorgaben, streben wir GRÜNE eine rasche und umfassende Verbesserung bundeseinheitlicher Qualitätsstandards bei gleichzeitiger Verbesserung von Dokumentations- und Kontrollsystemen im Gesundheitswesen an. Dazu muss ehestmöglich ein gesamtösterreichischer Qualitätssicherungsplan erstellt, sowie ein System der bundesweiten Qualitätssicherungskontrolle geschaffen werden. Wir GRÜNE fordern daher ein Modell der Medizinhaftung nach dem Vorbild der gesetzlichen Unfallversicherung. Letztere hat bereits im sensiblen Bereich der Unternehmenshaftung sehr gute Ergebnisse erzielt.
Die Eckpunkte dieses GRÜNEN Modells sind:
Primärer Auftrag ist die Vermeidung von Behandlungsschäden durch ein verbessertes Qualitätsmanagement in allen Versorgungsbereichen. Dennoch können Behandlungsschäden nie gänzlich vermieden werden. Die gegenwärtige Situation im Bereich der Medizinhaftung ist unbefriedigend. Ansprüche sind häufig undurchsetzbar oder werden oft nicht geltend gemacht. Für uns GRÜNE ist es ein zentrales Anliegen, die Vertrauensbeziehung zwischen Patient*in und Ärzt*in zu fördern und sicherzustellen. Die derzeitige Rechtslage bei Behandlungsschäden führt als „Konfrontationsmodell“ jedoch zu einer starken Belastung der Ärzt*innen-Patient*innen-Beziehung. Lange, teure und damit risikobehaftete Zivilprozesse mit „Gutachterkriegen“ beschreiben die derzeitige Problemlage. Um beide Seiten in einem Schadensfall ausreichend und adäquat abzusichern, bedarf es eines alternativen Modells einer Behandlungsversicherung, die zwischen den Extremen der bestehenden Ärzt*innen-Haftpflichtversicherung und einer Patient*innenversicherung angesiedelt ist.
2.1. Soziale und gesundheitliche Gerechtigkeit
Unterschiedliche soziale Lebenslagen und Schichtzugehörigkeiten haben entscheidenden Einfluss auf Gesundheit und Lebenserwartung. Untere soziale Schichten werden früher und häufiger krank und haben eine geringere Lebenserwartung als höhere soziale Schichten. Verantwortlich dafür sind schlechtere Bildung, Einkommensverhältnisse, Arbeitsbedingungen, starke psychosoziale Belastungen und Stress, schwache soziale Netzwerke, Umweltbelastungen und schlechtere Wohnverhältnisse. Begleiterscheinungen dazu sind oftmals Nikotinkonsum, Suchterkrankungen, ungesunde Ernährung und Mangel an körperlicher Aktivität. Eine verantwortungsvolle und weitsichtige Politik muss versuchen, Lebensbedingungen zu ermöglichen, die die Risiken von Einzelpersonen und Gruppen reduzieren. OECD-Studien zeigen, dass allein die Ausgewogenheit der Einkommensverteilung gesundheitliche Gerechtigkeit produziert. D.h. je größer der relative Zuwachs an Einkommen in den ärmsten Haushalten ausfällt, desto größer die gesundheitliche Gleichheit. Dass Gesundheit für uns GRÜNE grundsätzlich ein Individualrecht ist, schließt ein Bemühen um spezifische Risikogruppen keineswegs aus. Chancengleich für alle Menschen im Zugang zur gesundheitlichen Versorgung, Prävention und Gesundheitsförderung ist ein vordringliches Ziel der GRÜNEN. Wir GRÜNE fordern eine gesundheitsbezogene, soziale Gerechtigkeit: Menschen sollten möglichst frei von existentiellen Ängsten ihr Leben zu gestalten können. Unser Ziel ist es, die Teilhabe am Gesundheitssystem für auch jene zu optimieren, deren Chancen auf Selbstbestimmung durch Bildungsmängel, niedriges Einkommen, Behinderung, Krankheit, Alter, sexuelle Orientierung, durch ihre Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht, durch ihren Status als Arbeitslose, Migrant*innen und ethnische Minderheit eingeschränkt sind.
2.2. Stärkung der Patient*innenrechte
- Verbesserung der Rechtssituation und Anspruchsdurchsetzung für Patient*innen
- Eine deutliche Haftungsverbesserung für Ärzt*innen im Prozessfall
- Eine Haftungsgrundlage für ALLE medizinischen Dienstleistungsberufe und Berufsgruppen zum Zwecke einer Rechtsvereinheitlichung. Sonderregelungen für Impfschäden, Proband*innen, Blutspender*innen, die Transplantationsmedizin im Allgemeinen etc., sind inkludiert
- Ein effizienter, rascher patient*innenfreundlicher Schadensausgleich, begleitet von einem modernen Haftungs- und Schadenspräventionskonzept mit Qualitätskontrollen und vergleichen
- Der Wechsel der Verfahrensordnung in den Bereich des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes strafft den Verfahrensablauf zeitlich und inhaltlich, reduziert das Kostenrisiko und verbessert Beweislast und Sachverständigenproblematik
- Entlastung der Krankenkassen in Schadensfällen durch die Haftung der Risikogemeinschaft
- Eine deutlich niedrigere und tragfähigere Gestaltung des Prämiensystems Eine Ausweitung des GATS (General Agreement on Trade in Services) ist eine der zentralen Vorhaben der Welthandelsorganisation WTO. Ausländische Dienstleistungsanbieter*innen dürfen dabei nicht schlechter gestellt werden als inländische. Ziel ist die Liberalisierung und Deregulierung des öffentlichen wie privaten Dienstleistungssektors. Verhandlungsbereiche sind unter anderem Dienstleistungen des Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereiches mit ihren weltweit hohen Budget- und Gewinnanteilen. Mit dem Argument einer angeblichen „Explosion der Gesundheitskosten“ wird auch hierzulande das Gesundheitssystem Schritt für Schritt in den privaten Bereich gedrängt und damit zum Rückzugsfeld staatlicher Verantwortung. Nur eine Minderheit kann autonom und eigenverantwortlich über ihre Gesundheit und ihr Krankheitsrisiko bestimmen. Patient*innen sind nicht bloß Konsument*innen. Regeln von Angebot und Nachfrage können nicht blind auf das Gesundheitssystem und seine handelnden Personen übertragen werden. Konzepte des „schlanken Staates“ lassen sich daher im Gesundheitsbereich nicht ohne schwerwiegende Risiken verwirklichen.
Wir GRÜNE stehen der ungebremsten Liberalisierung und Deregulierung im Bereich von Gesundheit und Bildung kritisch gegenüber und fordern:
Als GRÜNE bekennen wir uns zu Risikoausgleich und Chancengleichheit im Gesundheitswesen. Der Staat kann hier nicht aus seiner Verantwortung, weiterhin eine flächendeckende und qualitativ hohe soziale Absicherung für alle in Österreich lebenden Personen zu gewährleisten, entlassen werden. Aus gutem Grund war das österreichische Gesundheitssystem bisher überwiegend öffentlich organisiert.
2.3. Behandlungsschäden – Modell einer neuen Medizinhaftung
Seit 1993 haben die Träger der Krankenanstalten unter Beachtung des Anstaltszweckes und des Leistungsangebotes bestimmte PatientInnenrechte sicherzustellen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass hier lediglich bestimmte objektive Pflichten der jeweiligen Träger, nicht aber subjektive Patient*innenrechte geschaffen wurden. Auch die mit den Ländern vereinbarte „Patientencharta“ beinhaltet jeweils nur die Zusammenfassung des derzeitigen Rechtszustandes. Keine Ärzt*in und keine Patient*in kann sich auf diese Charta berufen, geschweige mit Hilfe dieser einzelne Rechte durchsetzen.
2.4. GATS und Gesundheit
- Transparente Verhandlungen auf WTO-Ebene unter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen, der Gewerkschaften und Entwicklungsländer
- Eine intensive öffentliche Diskussion über Chancen und Risiken der Liberalisierung in gesellschaftspolitisch sensiblen Bereichen unter Einbeziehung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen und Organisationen
- Die sozioökonomische Evaluierung bisheriger Liberalisierungs- und Privatisierungsfolgen im Dienstleistungsbereich
- Vorrang von Allgemeininteressen vor privaten Profitinteressen! Die chancengerechte Versorgung mit zeitgemäßen Gesundheitsdienstleistungen ist ein soziales Grundrecht
- Entsprechend den Forderungen des Sozialstaatsvolksbegehrens ist eine verfassungsrechtliche Verankerung von Diensten und Leistungen des öffentlichen Interesses anzustreben
Kommerzielle Anbieter*innen haben nachzuweisen, dass durch ihren Markteintritt demokratische Strukturen, freier Zugang, soziale Sicherheit, Arbeitnehmer*innenrechte, Konsument*innenschutz, sowie Schutz von Umwelt und Natur nachhaltig garantiert sind Basisdemokratie bedeutet grundsätzliches Beteiligungsrecht der Menschen. Zentrale gesellschaftliche Fragen sollen nicht nur mittels Mehrheitsentscheidung der institutionalisierten Politik bestimmt werden. Eine stärkere Verknüpfung der repräsentativen Demokratie mit gesellschaftlicher Teilhabe ist daher notwendig. Im kommunalen und beruflichen Bereich wie bei den Sozialversicherungen kennen wir das Prinzip der Selbstverwaltung. Zu häufig verkümmert diese zu einer bloßen Verwaltung durch die Sozialpartner. Die GRÜNEN treten für eine Selbstverwaltung durch die Versicherten ein, die durch geeignete und praktikable Sozialwahlen organisiert werden soll. Für diese so notwendigen Auseinandersetzungen und Entscheidungsprozesse fordern wir daher ausreichende zeitliche und organisatorische Ressourcen.
3. Mitbestimmung und Information Die GRÜNEN befürworten eine ganzheitliche Medizin, die den Menschen unter Einbeziehung seiner gesamten Persönlichkeit und als soziales Wesen zum Gegenstand therapeutischer Bemühungen macht. „Ganzheitsmedizin“ und „Schulmedizin“ sollen sich gemeinsam kritisch gesundheitspolitischen Fragen stellen. Darüber hinaus ist es für uns GRÜNE unabdingbar, dass wirksame komplementärmedizinische Leistungen (beispielsweise Akupunktur) einkommensunabhängig allen Patient*innen zugänglich gemacht werden. Der bislang zu beobachtenden Tendenz zur Zwei-Klassenmedizin ist auch aus ganzheitlicher Sicht und unter Würdigung einer sinnvollen Komplementärmedizin entschieden entgegengetreten. Um Qualitätssicherung und Konsument*innenenschutz zu gewährleisten, sind wissenschaftliche Anstrengungen zu unternehmen, alle medizinischen Angebote (Ganzheits- und Schulmedizin) klarer als bisher von fragwürdigen Methoden abzugrenzen und damit Menschen vor falschen Heilsversprechungen oder risikobehafteten Methoden zu schützen. Der Bereich zielgruppenorientierter Gesundheitspolitik ist noch zu wenig entwickelt. Internationale Modelle und Studien zeigen allerdings die Notwendigkeit und Wirksamkeit arbeitsplatzbezogener Interventionen klar und eindeutig. Wir GRÜNE sehen die Aufgaben der Arbeitsmedizin nicht nur in der Verhütung von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen, sondern in der Anwaltschaft für eine nachhaltig gesundheitsfördernde und menschengerechte Gestaltung der Arbeitswelt. Geeignete Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sind effizient, da sie viele Menschen erreichen und nachweislich das Betriebsklima durch Wahrnehmung der Fürsorgepflicht der ArbeitgeberInnen verbessern. Unterschiedlichste Gesundheitsberufe können in diese Projekte einbezogen werden.
Wir GRÜNE fordern daher:
Der Einfluss von Führungsverhalten, Organisationskultur und Arbeitsabläufen auf die Befindlichkeit von Arbeitnehmer*innen muss ebenso Eingang in eine moderne Arbeitsmedizin finden, wie die Beachtung klarer Grenzwerte und zeitgemäßer Standards bei toxischen und physikalische Risiken. Dementsprechend sind auch Stressfaktoren, wie Mobbing, zu berücksichtigen. Die Tätigkeit von ArbeitsmedizinerInnen ist oft konfliktreich.
3.2. Arbeitsmedizin und betriebliche Gesundheitsförderung
Wir GRÜNE fordern daher öffentlich gestützte Investitionen in Studien nicht nur schulmedizinischer Verfahren sondern ebenso Studien, die über Wirksamkeit, Sinn und Unsinn sowie erfolgreiche Einsatzmöglichkeit komplementärmedizinischer Methoden und Naturheilverfahren Auskunft geben.
3.1. Komplementärmedizin – Ganzheitsmedizin
Basisdemokratisch
Die Gesundheitsdienste werden in Zukunft ein zentrales Feld gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen werden. Diesen Auseinandersetzungen werden sich die GRÜNEN, sowohl auf europäischer, als auch auf globaler Ebene, offensiv stellen
Ausbau der betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention
Entwicklung von begleitend evaluierten Modellprojekten in Kooperation mit der Wirtschaft.
Strikte Unabhängigkeit von ArbeitsmedizinerInnen und die Aufwertung ihrer Einsatzzeiten.
Obwohl in Österreich das Gesundheitssystem internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht und sich auf eine sehr gute Akzeptanz berufen darf, existieren Mängel und Missstände. Wir GRÜNE wollen nicht die Politik kosmetischer, anlassfallbezogener Korrekturen weiterführen, sondern nachhaltige Strategien der Veränderung aufgrund harter Daten und Fakten, insbesondere aber nach den Bedürfnissen der Menschen entwickeln. Exemplarisch sollen folgende Problembereiche untersucht und einer positiven Veränderung zugeführt werden:
Arbeitsbedingungen Gesundheitsberufe
Derartige Qualifizierungsmaßnahmen sind nicht kostenneutral. Kostensteigerung im Gesundheitswesen durch Einsparungen im Personalbereich auszugleichen, sind daher kontraproduktiv und können selbst kostenauslösend wirken. Der mittel- und langfristige Nutzen gesundheitspolitisch sinnvoller Investitionen in erweiterte Leistungsangebote der Prävention und Krankenversorgung sollte verpflichtend Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen werden. So können Investitionen in die psychotherapeutische Versorgung und verbesserte Maßnahmen der Neurorehabilitation nicht nur neue und qualifizierte Arbeitsplätze schaffen, sondern durchaus mit hohen Renditen nicht nur für das einzelne Individuum, sondern auch für Gesellschaft, Wirtschaft und Staat verknüpft sein. Physische und psychische Belastungen übersteigen bei Gesundheitsberufen zu häufig die Grenzen des Verantwortbaren. Dies kann zu Fehlhandlungen im Bereich von Diagnose und Therapie, sowie zu folgenreichen innerbetrieblichen Kommunikationsdefiziten und Störungen in der Beziehung zu Patient*innen führen. Ein Krankenanstaltenarbeitszeitgesetz für Gesundheitsberufe erlaubt nach wie vor durchgehende Dienstzeiten von bis zu 49 Stunden und maximale Wochenarbeitszeiten von 72 Stunden bei Ärzt*innen. Noch ist dieses Gesetz nicht flächendeckend umgesetzt. Auch die Arbeitsbedingungen anderer Gesundheitsberufe (12 Stundendienste im Pflegebereich) müssen einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
Wir GRÜNEN fordern:
Die rasche Entwicklung der Medizin fordert von den Gesundheitsberufen nicht nur Mehrleistungen, sondern auch eine qualitativ immer bessere Ausbildung. Darunter verstehen wir einerseits den vermehrten Erwerb von technischem Wissen und Fertigkeiten, andererseits aber auch mehr Zuwendung und Menschlichkeit in den PatientInnenkontakten. Eine stärkere Vermittlung von psychologischen und kommunikativen Kompetenzen ist daher unumgänglich.
3.3. Kampf gegen Defizite und Ärgernisse
Sparmaßnahmen im Personalbereich sind auf ihre möglichen Auswirkungen zuuntersuchen
Verbesserung und Humanisierung der Arbeitsbedingungen von Gesundheitsberufen
Die Kompetenzen des Arbeitsinspektorrates sind im öffentlichen Bereich auszubauen
Eine der modernen Medizin angepasste Personalbedarfs- und Einsatzplanung.
Personalaufstockungen wie auch bessere Modelle der Arbeits-Einsatzzeiten werden dazu erforderlich sein Ärztliche Leistungen an sogenannten PrivatpatientInnen werden durch ein gesondertes Honorar abgegolten. Oftmals wird im öffentlichen Sektor die Möglichkeit zu Privathonoraren dazu benutzt, um niedrige Grundgehälter zu rechtfertigen. Andererseits missbrauchen einige „schwarze Schafe“ Privathonorare dazu, um unter Zuhilfenahme öffentlicher Ressourcen und nachgeordneten Personals eine schamlose Einkommensmaximierung zu verfolgen, was seit Jahren vom Rechnungshof vergeblich kritisiert wird. Die daraus resultierenden, kaum nachvollziehbaren Einkommensunterschiede und die finanziellen Abhängigkeiten nachgeordneten Personals von leitenden ÄrztInnen, schüren Arbeitsplatzkonflikte, stören das Arbeitsklima und senken die Motivation. Qualitätssicherung medizinischer Gutachten und forensische Medizin Medizinische Gutachten bei Behandlungsschäden besitzen eine große Bedeutung im Bereich der PatientInnenrechte. Darüber hinaus beeinflussen medizinische Gutachten Straf- und Zivilprozesse sehr wesentlich. Nicht selten wird die Qualität von Gutachten kritisiert.
Wir GRÜNE fordern daher:
Daher setzen sich die GRÜNEN für eine bundeseinheitliche, leistungsbezogene Regelung der Privathonorarpraxis in öffentlichen Krankenanstalten ein. Einkommensunterschiede in bisherigen Größenordnungen sind dabei durch eine faire Beteiligung nachgeordneten Personals und durch einen Solidaritätsfonds für einkommensschwache Spezialfächer zu dämpfen. Eine bundeseinheitliche und endlich auch verfassungskonforme Rahmengesetzgebung im Sinne der Rechnungshofkritik ist daher ehestmöglich vorzubereiten. Die gesetzliche Vorgabe, dass es keine Unterschiede in der Qualität medizinischer Versorgungsleistungen zwischen Versicherten der allgemeinen Gebührenklassen und Privatversicherten geben darf, ist laufend zu evaluieren und auch auf Wartezeiten bei der Leistungsnachfrage auszudehnen.
Ärztliche Privathonorare
Entwicklung klarer Anforderungsprofile bei der Bestellung von gerichtlich beeideten Sachverständigen
Nachweis ausreichender wissenschaftlicher Qualifikation und Garantie einer konsequenten Weiterbildung gemäß dem medizinisch wissenschaftlichen Fortschritt
Eine in der Praxis vertret- und zumutbare, zumindest aber stichprobenartige Evaluierung von Gutachter*innentätigkeiten verknüpft mit entsprechenden Konsequenzen. Gender Mainstreaming zählt zu den zentralen politischen Inhalten GRÜNER Politik. Dies bedeutet, dass wir uns zu einer geschlechtsbezogenen Sichtweise aller Politikfelder bekennen. Die Diskriminierung von Frauen im Gesundheitsbereich zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen. Männer dominieren in Führungspositionen des Gesundheitswesens. Weibliche Lebenszusammenhänge werden vielfach ausgeblendet. Karriereschienen für Frauen sind nur mangelhaft entwickelt und frauenspezifische Lebenssituation in Diagnostik und Therapie werden zu wenig berücksichtigt (z.B. Möglichkeiten eines Kur- oder Spitalsaufenthalts für Frauen mit Kleinkindern). Darüber hinaus zeigen wissenschaftliche Arbeiten einen deutlichen Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit von Behandler*innen und Patient*innen auf den Therapieerfolg. Die Wahlmöglichkeit zwischen weiblichen und männlichen Therapeuten ist daher zu verbessern. Wir GRÜNE fordern daher im Bereich Gesundheit und Frauen:
Wir GRÜNE sehen eine geschlechterdifferenzierte Sichtweise als wesentliches Qualitätskriterium, welches im Gesundheitswesen von der Datenerhebung über die medizinische Behandlung bis hin zur stärkeren Verankerung von Frauen und ihren Interessen in Forschung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und in Führungsebenen Berücksichtigung finden muss. Die Repräsentanz von Frauen ist daher in allen Verwendungs- und Führungspositionen zu erhöhen. Eine geschlechtsdifferenzierte Sichtweise trägt zur geschlechtsadäquaten Gesundheitsförderung und Prävention bei, ermöglicht eine differenzierte Diagnostik, erhöht die Qualität der Behandlung für Frauen und Männer und trägt zur Identifikation spezifischer Ressourcen bei.
Ein anderer Problembereich ist die medikamentöse Versorgung von Frauen. Frauen bekommen nicht nur doppelt so oft wie Männer Tranquilizer und Psychopharmaka verschrieben (man nimmt ihre Symptome weniger ernst), auch die Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten sind bei Frauen aufgrund mangelnder klinischer Studien oft unzureichend untersucht.
4.1. Frauen und Gesundheitspolitik
Feminismus formuliert auch im Gesundheitssystem Kritik an patriarchalen Strukturen. Grundlegende Bestrebung GRÜNER Gesundheitspolitik ist es, diese Strukturen aufzuzeigen und zu überwinden. Wie in allen Politikfeldern müssen auch in der Gesundheitspolitik geschlechtsspezifische Auswirkungen mitgedacht und Grundlage von Entscheidungen werden.
4. Gesundheit aus Genderperspektive
Feministisch
Verpflichtende und regelmäßige Dokumentation eines Frauengesundheitsberichtes
Epidemiologische Untersuchungen zur Prävalenz und Versorgungsstruktur frauenspezifischer Erkrankungsbilder
Umsetzung der Gleichbehandlung von Frauen in sämtlichen Wirkungsbereichen als Partnerinnen und Verantwortliche des Gesundheitssystems
Berücksichtigung der Migrantinnensituation unter Beachtung transkultureller Unterschiede
Verbesserung der Situationen von Alleinerzieherinnen und von Frauen in der Pflegebetreuung
Entwicklung von risikoarmen Verhütungsmethoden für Männer und Frauen sollte Gegenstand innovativer Forschung sein. Der schlechte Gesundheitszustand von Männern ist evident. Die Ursachen dafür liegen nicht nur im mangelnden Bewusstsein für Vorsorge und Früherkennung, sondern auch in sozialen und gesellschaftlichen Faktoren, wie dem Ignorieren von ersten Warnzeichen und risikoreichem Verhalten. Ferner sind Männer vor allem im Alter häufig von Depression betroffen. Durch „Kaschieren“ und Symptomverschiebung werden diese allerdings seltener diagnostiziert als bei Frauen.
4.3. Neues Rollenbild der Gesundheitsberufe
Der Aufbau neuer Strukturen der Gesundheitsförderung und Wissensvermittlung kann von Pflegepersonen, medizinisch technischen Berufen, Sozialarbeiter*innen, Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen mit hoher Qualifikation in interdisziplinärer Zusammenarbeit geleistet werden. Daher fordern die GRÜNEN die Einrichtung von multidisziplinären Gesundheitszentren (Beispiel Sozialmedizinisches Zentrum Graz-Liebenau) und die Entwicklung auch neuer, interdisziplinärer und teamorientierter Formen der Pflege und Betreuung.
Solidarisch 5.1. Kindergesundheit
Daher fordern wir:
Gesundheitspolitik konzentriert sich vorwiegend auf Erwachsene. Eine stärkere Fokussierung auf die Probleme und Bedürfnisse ist angezeigt. Erkennung von Fehlentwicklungen, rechtzeitige Weichenstellungen und Maßnahmen der Verhaltensmodifikation sind jedoch entscheidend für die Prävention. Vorschule und Schule sind hier in ihren Möglichkeiten intensiver als bisher zu nutzen. Verbesserten kindergerechten Strukturen im Alltag sollte eine besondere Bedeutung zukommen. Internationalen Vorbildern folgend sollte die Gesundheit von Kindern nicht nur besser dokumentiert, sondern auch Forschung, Diagnostik und Therapien intensiver auf die Bedürfnisse und die besondere Situation von Kindern eingehen und dementsprechend koordiniert werden. Vielfach beruhen medikamentöse Therapien bei Kindern und Jungendlichen auf reinem Erfahrungswissen und können sich nicht auf ausreichende klinische Studien berufen. Im Interesse der Risikominimierung ist diese Lücke unter Beachtung internationaler Standards und strenger ethischer Richtlinien zu schließen.
Die Verpflichtung zur Solidarität im Gesundheitswesen hat ihre Grundlage im Recht auf Chancengleichheit und im Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und Sterben in Würde. Die Beibehaltung der Pflichtversicherung für alle und die Gewährleistung ausreichender Leistungsangebote für Menschen ohne Versicherungsschutz ist für uns GRÜNE ein unabdingbares Zeichen politisch gewollter und daher auch gelebter Solidarität.
5. Solidarisch – Mensch zu Mensch
Die Ausbildung der professionell Pflegenden in Österreich hinkt vielfach dem üblichen europäischen Standard hinterher. Die GRÜNEN setzen sich daher für eine bundesweite, bedarfsorientierte Akademisierung von Pflege- und Gesundheitsberufen ein. In den speziellen Ausbildungsschienen ist eine stärkere PatientInnenorientierung anzubieten und die sozialen und psychologischen Aspekte von Beziehungen, Leid, Trauer, Ohnmachtserfahrung und chronischen Erkrankungen vermehrt in den Unterricht einzubinden. Kenntnisse in Medizinökonomie, Patient*innenrechte und Bioethik müssen verpflichtender Bestandteil des Unterrichtes in allen Gesundheitsberufen werden. So kann auch nachhaltig der Gefahr einer bloßen „Reparaturmedizin“ entgegengewirkt werden. Wir wollen auch offen gegenüber der Entwicklung neuer Berufsfelder im Gesundheitsbereich sein.
Wir GRÜNE fordern daher, Schwerpunkte auf den Ausbau von Gesundheitsberatung, die sich speziell an Männer richtet, zu setzen. Der Aufbau niederschwelliger Männergesundheitszentren ist zu fördern. Eine spezielle Gesundheitserziehung sollte bereits in den Schulen beginnen, um einer übertrieben einseitigen „männlichen“ Erziehung und Sozialisation mit ihren negativen Auswirkungen auf die Gesundheit entgegenzuwirken.
4.2. Männer und Gesundheitspolitik
Einen nationalen Gesundheitsplan für Kinder und Jugendliche
Die notwendige Spezialisierung innerhalb der pädiatrischen Ausbildung auf besondere und seltene Erkrankungen mit einer begleitenden Profil- und Schwerpunktbildung in zentralen Krankenanstalten
Die verbindliche Einführung ethischer Standards entsprechend den Empfehlungen der UNICEF nach den Regeln der „evidence based medicin“ bei der Behandlung von Kindern
Den verbesserten Zugang zu einer zeitgemäßen Versorgung durch Abbau regionaler, finanzieller und bürokratischer Hindernisse
Die stärkere Einbeziehung psychosozialer Aspekte in die Kinderheilkunde
5.2. Alte Menschen – Geriatrie
Die Behandlung und Betreuung alter Menschen erfordert eine Kombination kurativer, rehabilitativer und begleitender Verfahren. Die Betreuung geriatrische Patient*innen darf sich nicht auf die Kriterien der Verwahrung (sauber und satt) beschränken. Vielmehr sollen diese Menschen ihre letzte Lebensphase positiv und bei gleichzeitig optimalem Erhalt all ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten erleben können.
Wir GRÜNEN fordern:
Mängel und Fehlentwicklungen im Bereich der Langzeitbetreuung schürt die Angst vor Altenheimen und wird oft zu Unrecht den betreuenden Personen angelastet. Eine ausschließlich medizinische Betrachtungsweise der Situation der pflegebedürftigen geriatrischen Patient*innen kann diese Probleme allein nicht lösen. Die Etablierung einer zeitgemäßen und humanen Geriatrie in Österreich kann hier Lösungsansätze bieten. Rechtzeitige und ganzheitliche Hilfestellungen tragen dazu bei, den Bedarf an Langzeitinstitutionalisierung zu reduzieren. Eine GRÜNE Gesundheitspolitik zielt daher auf eine Wiederherstellung bzw. Erhaltung der Fähigkeit zur Führung eines autonomen und selbständigen Lebens der älteren Menschen ab. Dabei erscheint uns eine mögliche Wiedereingliederung in ihre gewohnte Umgebung vordringlich.
Die Zunahme der Zahl an alten Menschen ist ein globales Phänomen. Somit wird der Bedarf an qualifizierter Betreuung älterer Menschen, zu Hause oder in Institutionen, zum dominierenden Faktor der Planung zukünftiger Strukturen des österreichischen Gesundheits- und Sozialsystems.
Kind- und jungendgerechte Strukturen im ambulanten und stationären Bereich und die Aufwertung von Selbsthilfe- und Elterngruppen im Bereich von Mitsprache und Planung
Die Einführung des Faches „Geriatrie“ an den medizinischen Universitäten, und eine auf die Bedürfnisse von alten Menschen abgestellte verbesserte Ausbildung und Spezialisierung von Gesundheitsberufen
Stärkere Orientierung an wohnortnahen und häuslichen Betreuungsangeboten und Sicherung „sanfter“ Übergänge zwischen verschiedenen Betreuungsformen
Die Reduktion anonymer, riesiger „Bettenburgen“ zugunsten überschaubarer kleinerer, vernetzter Einheiten
Den Ausbau ambulanter tages- und nachtklinischer Einrichtungen
Verbesserung des Angebotes an Prävention und Rehabilitation
Die Erstellung eines „gesamtösterreichischen Aktionsplans zur Suizidprävention“, welcher die Probleme älterer und alter Menschen besser als bisher erfasst
Die Verbesserung von fachlichen, psychischen und sozialen Hilfestellungen für betreuende Angehörige Menschen mit Behinderungen werden auch im Gesundheitssystem ungleich behandelt. Selbst im Bereich der stationären Versorgung ist Barrierefreiheit nicht garantiert und die geringe Zahl an barrierefreien Praxen reduziert die freie ÄrztInnenwahl beträchtlich. Auf die Situation hör- und sprachbehinderter Menschen wird ebenso wenig eingegangen wie auf sehbehinderte und blinde Menschen. Möglichkeiten der oft notwendigen und wünschenswerten Mitaufnahme von Begleitpersonen bei stationären Behandlungen fehlen weitgehend. Ausbildungsmängel und ungenügend profilierte Schwerpunktsetzungen im Bereich seltener Behinderungen überfordern das Personal und erschweren nicht selten eine qualitativ hochstehende Therapie und Beratung.
5.3. Menschen mit Behinderungen
Wir GRÜNE fordern:
Verbesserte Ausbildung und Spezialisierung im Behindertenbereich
Barrierefreiheit in allen Diagnose- und Therapieeinrichtungen
Möglichkeiten der Mitaufnahme von Begleitpersonen Behinderter
Die stärkere Berücksichtigung hör- und sehbehinderter Menschen
5.4. Psychisch Kranke und Psychiatriereform
Psychische Erkrankungen nehmen stetig zu. Die Zahl der Selbsttötungen liegt in Österreich über jenen der Verkehrstoten. Psychisch Kranke sind somatisch Kranken in der Wertigkeit ihrer Krankheit, wie auch in ihren Rechten nicht gleichgestellt. Daher fordern wir GRÜNE die Aufnahme psychisch Kranker in das geplante Antidiskriminierungsgesetz. Zu oft wird in Österreich unter dem Titel „Psychiatriereform“ lediglich Reformkosmetik betrieben. Man konzentriert sich vorzugsweise auf die Reduktion psychiatrischer Betten ohne gleichzeitig adäquate Versorgungsstrukturen im wohnortnahen Bereicht zu etablieren. Verlierer dieser „Reform“ sind in erster Linie Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und Behinderungen sowie ihre Angehörigen, die in ökonomischer und psychischer Hinsicht zunehmend belastet werden.
Deshalb fordern die GRÜNEN:
Dezentralisierung der Akutversorgung bei gleichzeitigem Ausbau entsprechender Ressourcen der bedürfnisgerechten Versorgung. Das sind stationäre, tagesklinische, ambulante sowie rehabilitative Strukturen (Wohnen und Lebensunterhalt, Arbeit und Beschäftigung sowie Freizeit, Kommunikation und Tagesgestaltung)
Ausbau niederschwelliger, multidisziplinärer Einrichtungen die Betroffene auch aufsuchen
Sozialrechtliche Gleichstellung der psychiatrischen Rehabilitation mit jener bei somatischen Erkrankungen oder in Folge von Unfällen
Novellierung der Leistungsfinanzierung unter Aufwertung psychiatrischer und psychotherapeutischer Interventionen. Menschliche Zuwendung, Gespräche und Einzelpsychotherapie sind personalintensiv und können nicht durch reine Pharmakotherapien ersetzt werden
Qualitätssicherung psychiatrischer Gutachten durch Kontrolle der Kompetenz von GutachterInnen. Betroffene dürfen nicht zum Instrument der Disziplinierung und Unterdrückung aller Abweichungen werden (es kann nicht alleiniges Therapieziel sein, sich tradierten gesellschaftlichen Konventionen anzupassen) Einsamkeit, Ohnmacht, Angst und Schmerzen prägen oft die letzten Phasen unseres Lebens. Die Verdrängung und Tabuisierung des Todes erschweren unseren Zugang zum Sterben und fördern eine anhaltende Ghettoisierung dieses letzten Lebensabschnittes. Daher fordern die GRÜNEN den bundesweiten Ausbau der mobilen und stationären Betreuung schwerkranker und sterbender Menschen und die Erstellung dementsprechend tragfähiger Finanzierungsmodelle. Brückeneinrichtungen zwischen stationärem und ambulantem Bereich müssen gefördert werden, um den schwerkranken Menschen bessere Übergänge nach ihrer Entlassung aus dem stationären Bereich zu ermöglichen. Wir GRÜNE fordern daher:
5.5. Palliativmedizin / Hospiz
Den Ausbau und die Garantie der mobilen Betreuung schwerkranker und sterbender Menschen in allen Regionen
Eine flächendeckende, finanziell abgesicherte Versorgungsmöglichkeit durch spezialisierte stationäre Zentren
Eine standardisierte, qualitätsgesicherte, wissenschaftlich fundierte Ausbildung in „palliative care“ für Fachpersonal wie ehrenamtliche MitarbeiterInnen
Die Kostenübernahme palliativmedizinischer Leistungen durch die öffentliche Hand muss garantiert und mittels Integration der Palliativmedizin in das Leistungsangebot der Kassen unterstützt werden. Ein hoher privater Finanzierungsanteil und damit eine Bevorzugung wohlhabender Schichten bis in das Sterben hinein, ist ein nicht zu akzeptierendes Ärgernis
Die Aufnahme der Palliativmedizin in die Studienpläne für Humanmedizin und in die Lehrgänge für Pflege- und Gesundheitsberufe
Die finanzielle, rasche und unbürokratische Absicherung pflegender Angehöriger im Pflegegeldverfahren und bei der „Hospiz-Karenz“
Verbesserte Informationen über die Möglichkeit einer PatientInnenverfügung und Erstellung eines entsprechend beworbenen bundeseinheitlichen Formulars Gesundheit ist ein Grundbedürfnis, das allen Menschen zugänglich sein muss. Das Menschenrecht auf Gesundheit ist in Artikel 25 der allgemeinen Erklärung für Menschenrechte seit 1948 festgeschrieben. Der Gesundheitszustand von Menschen in den Ländern des Südens zeichnet allerdings ein besorgniserregendes Bild. Armut produziert Krankheiten! Die im Zuge der GATS-Verhandlungen auf WTO-Ebene geplante Liberalisierung von Dienstleistungen birgt die große Gefahr, dass gerade in den Bereichen Gesundheit und Bildung keine flächendeckende, chancengleiche Versorgung mehr erreicht werden kann. Wir GRÜNE treten im Sinne eines weltumspannenden solidarischen Miteinanders für eine bedürfnisgerechte Gesundheitsversorgung und Krankheitsprävention im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ein.
Nachhaltigkeit
6.1. Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen
Auch noch so gute Verdrängungsmechanismen ersparen uns nicht den Blick auf die Realität, dass wir alle während unseres Lebens mit Krankheit, Leiden und Tod konfrontiert werden. Die Entwicklung von Problembewusstsein und Sensibilität für Gesundheitsfragen, wie das Verändern von Einstellungen, ist für uns GRÜNE eine Grundvoraussetzung für Nachhaltigkeit. Finanzielle Mittel sind auch für die wissenschaftliche Forschung im Gesundheitsbereich zu budgetieren. Zu oft agieren wir aus dem Bauch heraus oder aus der Warte der Mächtigen. Wir GRÜNE fordern, definierte Budgets für unabhängige, ziel- und bedarfsorientierte Studien im Bereich wichtiger gesundheitspolitischer Entscheidungen vorzusehen. Diese Forderung ist ökonomisch sinnvoll, da erst Evaluierung und Qualitätssicherung erlauben, rechtzeitig Fehlentwicklungen zu erkennen und sich daraus verbesserte Möglichkeiten der Steuerung und Kurskorrektur eröffnen. Die politischen Ebenen des österreichischen Gesundheitswesens arbeiten kaum koordiniert und daher wenig effizient. Dies verzögert oder behindert nicht nur aussagekräftige Analysen, sondern auch die Entwicklung alternativer Gestaltungsmöglichkeiten und deren konsensuelle Umsetzung. GRÜNE Politik will engagiert dazu beitragen, unser Gesundheitswesen zu modernisieren, um es für die Zukunft nachhaltig, im Sinne der Patient*innen und Mitarbeiter*innen, leistungsstark und effizient zu gestalten. Dafür bedarf es jedoch einer Strukturreform. Dazu wollen wir GRÜNE ein Gesundheitsnetzwerk aufbauen, das auch von diversen Expert*innen längst gefordert wird:
Die Zusammenfassung umfassender Bundesgesundheitskompetenzen unter Integration der Sozialversicherungsagenden in einem Ressort sollte sich im Dialog mit den Ländern und dem Parlament, den Leistungsträgern und Betroffenen als ein tragfähiges Modell erweisen. Ein Gesundheitsressort mit umfangreichen und klaren Kompetenzen kann in Kombination mit einem starken, unabhängigen, finanziell leistungsfähigen und gesundheitspolitisch kompetenten System der Pflichtversicherung als integrative Koordinierungs- und Planungsstelle für das gesamte Gesundheitswesen agieren, der auch Agenden der Ausbildung von Gesundheitsberufen obliegen.
6.2. Strukturreform
So wollen wir auch ein gesellschaftliches Verständnis für die Notwendigkeit einer solidarischen Beitragsleistung zu einem modernen, fairen und innovativen System der Pflichtversicherung erreichen. Restriktive Budgets und Angebotsverknappungen – die Politik der derzeitigen Regierenden – könnten uns langfristig teuer zu stehen kommen. Rein betriebswirtschaftliches Denken sollte volkswirtschaftlichen Betrachtungen von Gesundheitsinvestitionen im Sinne einer ganzheitlichen und nachhaltigen Sichtweise untergeordnet werden. Für uns GRÜNE heißt nachhaltiges Denken und Verantwortung auch budgetäre Vorsorge zu treffen, sodass gesundheitspolitische Leistungen allen Bedürftigen zur Verfügung stehen.
Welches Kapitel der Gesundheitspolitik wir auch immer aufschlagen, es sollte mit gutem Grund auch unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit gesehen werden. Zu oft nämlich reagiert die Politik erst dann, wenn Skandale bekannt oder Unzulänglichkeiten medial aufbereitet werden.
Unser Ziel ist es, allen Menschen gleiche Grundrechte und bessere Lebenschancen und Selbstentfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Nachhaltige Gesundheitspolitik bedarf jedoch einer Veränderung gesellschaftlicher Einstellungen. Nur so kann jener Konsens und jene Akzeptanz erreicht werden, die es erlaubt, die notwendigen politischen Weichenstellungen zu setzen.
6. Für die Zukunft
Die Förderung einer besseren medizinischen Ausbildung und Programme einer umfassenden Gesundheitserziehung der Bevölkerung gehören ebenso zu unseren Zielen wie ein erleichterter Zugang zu zeitgemäßen und für Entwicklungsländer auch erschwinglichen Therapien. Um die Länder des Südens zu stärken, sollen Partnerschaften zwischen Regionen und Staaten im Süden geschlossen werden. Dies wäre ein möglicher Schritt in Richtung relativer Unabhängigkeit von den Industrieländern und zugleich ein Beitrag zur Kostendämpfung für einzelne Nationalstaaten.
In südlichen Ländern müssen mehr und bessere medizinische Versorgungsmöglichkeiten geschaffen und diese auch gerechter verteilt werden. Spitäler und Praxen konzentrieren sich dort vorwiegend in den Städten. Der Zugang zu regelmäßigen gesundheitsrelevanten Untersuchungen und Behandlungsmethoden für Menschen im Süden bleibt vor allem Frauen und Kindern vielfach verschlossen. Die rapide zunehmenden HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in den sogenannten Entwicklungsländern stellen eine humanitäre Katastrophe dar.
5.6. Dritte Welt – Gesundheit und Entwicklungspolitik
Als Basis und Drehscheibe künftiger Gesundheitspolitik sind regional adaptierte Gesundheits- und Sozialsprengel einzurichten, welche die Integration, Vernetzung und Koordination von Krankenversorgung, Pflege, Sozialeinrichtungen, Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation organisieren und fördern
Den Hausärzt*innen soll dabei eine tragende, aber mehr als bisher mit anderen Gesundheits- und Sozialberufen abgestimmte, teamorientierte Rolle zukommen. Sie oder Vertreter*innen anderer Gesundheitsberufe müssen als Vertrauenspersonen und Begleiter*innen der Patient*innen gesehen werden und ausgestattet mit entsprechenden Ressourcen auch so agieren können
Die Förderung zeitgemäßer und patient*innengerechter Strukturen, wie beispielsweise eine durchgehende Versorgungsplanung von der Allgemeinmedizin bis hin zur Spitzenversorgung, ist Gebot der Zeit. Praxisgemeinschaften oder disziplinübergreifende Gruppenpraxen und neu zu entwickelnde Gesundheitszentren, die auch in oder assoziiert mit Krankenanstalten im Rahmen einer Krankenanstaltenreform errichtet werden können, sollen in Zukunft eine stärkere Rolle spielen
Eine stärkere Vernetzung von Gesundheits- und Sozialpolitik, insbesondere im Bereich von Pflege und Rehabilitation, ist sowohl fachlich und budgetär anzustreben.
Rückbesinnung auf die eigentlichen Aufgaben der Spitäler
Die GRÜNEN plädieren daher auch hier für eine grundlegende Strukturreform. Damit sich Krankenanstalten wieder auf ihre wesentlichsten Aufgaben konzentrieren können, müssen ihre Aufgaben, Profile und Schwerpunkte klar und überregional definiert werden. Die vielen Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen „Versorgungseinrichtungen“ müssen daher zu Nahtstellen werden. Dies und ein verbessertes Entlassungsmanagement können sowohl die Problematik von Über- und Unterversorgung als auch die des Informationsverlustes reduzieren. Nur eine bundeseinheitliche Leistungsangebotsplanung in Zusammenschau von niedergelassenem und stationärem Bereich und eine Zusammenführung von Finanzierungsquellen und Verantwortlichkeiten, kann hier notwenige Verbesserungen ermöglichen.
Wir GRÜNE fordern daher eine einheitliche Bedarfs-, Struktur- und Leistungsplanung für Spitäler, die diesen dann auch eine erweiterte Autonomie und Verantwortlichkeit zubilligt. Klare Verantwortlichkeiten und eine Reduktion der vielfältigen Finanzierungsströme sind anzustreben.
Reform von Verwaltungs- und Leitungsstrukturen
6.3. Finanzierung der Solidargemeinschaft und Kassensysteme
Von „Selbstbehalt“ zu sprechen, ist ein Etikettenschwindel und beschreibt das finanzielle Geschehen nicht korrekt. Der englische Ausdruck „co-payments“ kommt der Wahrheit näher, dass es sich hier um Zuzahlungen von Patient*innen handelt. Niemand behält beim Selbstbehalt etwas selbst, ganz im Gegenteil, es wird zusätzlich privates Geld als Zuzahlung der Patient*innen zu öffentlichen Leistungen investiert. Nach einer aktuellen Studie liegt Österreich, was den privaten Anteil an den Gesamtgesundheitskosten betrifft, bereits nach den USA und den Niederlanden an unrühmlicher dritter Stelle. Nachdem untere Einkommens- und Bildungsschichten überproportional früh und häufig erkranken, werden durch diese Maßnahmen insbesondere jene bestraft, die ohnehin schon benachteiligt sind. Dies widerspricht der GRÜNEN Vorstellung von Solidarsystemen. Die gegenwärtige Finanzlage der Kassen erschwert jedoch die sofortige Rücknahme der Selbstbehalte. Daher wird vorerst der geplanten Ausweitung der Selbstbehalte Widerstand entgegengesetzt werden müssen. Ihre Ausweitung zur zusätzlichen Einnahmequelle oder ihr Einsatz als (untaugliches) Steuerungsinstrument wird von uns entschieden abgelehnt. Gleichzeitig und bis zum Zeitpunkt einer zukünftigen stufenweisen Reduktion überbordender privater Zuzahlungen sind wir für eine Harmonisierung existierender Selbstbehalte. Davon unabhängig bekennen wir uns zu mehr Kostentransparenz und Kostenbewusstsein. Beides kann aber auch mit sozial- und gesundheitspolitisch unbedenklichen Maßnahmen erreicht werden. Die Darstellung eines bald nicht mehr finanzierbaren Gesundheitssystems ist vielfach ideologisch motiviert und wissenschaftlich nicht haltbar.
Wir GRÜNE bekennen uns zu einem verantwortlichen und effizienten Umgang mit Steuergeldern ebenso, wie zur Nutzung existierender Rationalisierungspotentiale bei gleichzeitigem Erhalt der Versorgungsqualität. Die Frage der zukünftigen Finanzierbarkeit scheint allerdings mehr eine Frage des politischen Wollens, als die des Könnens zu sein.
Solidarische Finanzierung
Kosteneinsparungen sind ohne Qualitätseinbußen in folgenden Bereichen und mit folgenden Maßnahmen möglich:
Dass in wohlhabenden Staaten die Gesundheitskosten mit dem steigenden Bruttoinlandsprodukt wachsen (meist etwas steiler oder deutlich steiler) ist bekannt und allgemeiner Trend. Weniger bekannt ist jedoch, dass das viel zitierte Kassendefizit in Österreich vorwiegend einnahmenseitig resultiert. Wären in Österreich Löhne und Gehälter wie der Wohlstand des Staates (BIP) gestiegen, würden die daraus sich entwickelnden Mehreinnahmen der Kassen trotz Leistungsausweitungen das Kassendefizit auf nahe Null reduzieren. Eine verbesserte Beschäftigungs- und Sozialpolitik, die Reduktion von Arbeitslosigkeit und fairere Löhne und Gehälter sind für uns GRÜNE daher wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Gesundheitspolitik.
Mit einem Anteil der Gesundheitskosten von 8,3 Prozent (9,5% IHS) am Bruttoinlandsprodukt liegt Österreich exakt im Durchschnitt der EU-Staaten. Allerdings sind die Parameter der Kostenberechnungen international uneinheitlich, was eine exakte Standortbestimmung erschwert. Österreich liegt, was die Parameter Zufriedenheit, offener Zugang und Nutzbarkeit betrifft, laut einer WHO-Studie auf Rang acht der Gesundheitssysteme von 196 Ländern. Reformen bedürfen angesichts dieser Tatsachen jedenfalls großen Verantwortungsgefühls. Die Steigerungsraten der Gesundheitskosten in Österreich liegen unter dem OECD-Schnitt. Der immer wieder von der Regierung angesprochenen Krise fehlt es somit doch an Brisanz.
Selbstbehalte unsozial und kontraproduktiv
Auch bei einem klaren Bekenntnis zur Pflichtversicherung sind Reformen der Kassen für uns kein Tabu, sondern vielmehr Zeichen innovativer Leistungsorientierung, verbesserter PatientInnenorientierung und Rationalisierung. Dies entspricht auch dem allgemeinen Wunsch nach mehr Professionalität. Kassen dürfen sich nicht nur als bloße und sparsame Verwalter*innen der Gelder von Beitragszahler*innen sehen, sondern sollen sich über die Selbstverwaltung stärker als bisher gesundheitspolitisch gestaltend einbringen. Die parteipolitischen Einflussnahmen und Postenbesetzungen sind zurückzunehmen, die Selbstverwaltung muss den Versicherten zurückgegeben werden.
Seit Jahren wird über eine zunehmende Spitalslastigkeit geklagt. Die Ursachen dafür sind beispielhaft das Fehlen adäquater ambulanter Versorgungsstrukturen, eine Missachtung der Möglichkeiten im niedergelassenen Bereich, wenig leistungsgerechte Honorierung, unterschiedlichste Finanzierungstöpfe und ein Konglomerat von Zuständig- und Verantwortlichkeiten. Die Folgen zeigen sich in einem Wirrwarr von Über- und Unterversorgung, in Kostenzuwächsen im Spitalsbereich, in der Überlastung der dort tätigen MitarbeiterInnen verbunden mit reduzierten Möglichkeiten notwendiger aber zeitaufwendiger Ärzt*innen-Patient*innen-Kontakte wie in ebenso mangelnden Kontakte aller weiteren Gesundheitsberufe mit den ihnen Anvertrauten.
Die Rolle therapeutischer Gespräche ist im Honorarsystem stärker zu verankern und die dazu genutzte Zeit muss für Besserungen in den Bereichen Aufklärung, Dokumentation und Koordination von Behandlungsplänen zu genutzt werden.
Medikamente
Strukturreformen mit einer besseren Balance zwischen stationärer und ambulanter Versorgung
bundesweite Leistungsangebotsplanung mit Profilbildung und Schwerpunktsetzungen im stationären Bereich
Einführung international bewährter Qualitätsstandards in Diagnose und Therapie
Zusammenführung von Verantwortlichkeit und Kompetenzen
bessere Kommunikationssysteme (Schnittstellenproblematik) GRÜNES Ziel ist:
Eine Harmonisierung unterschiedlicher Kassenbeiträge bei gleichzeitiger Harmonisierung der jeweiligen Leistungen und Selbstbehalte
Die stufenweise Zusammenführung diverser Kassen in neun Länderkassen
Wir GRÜNE fordern daher:
Eine zunehmende „Verländerung“ der Gesundheitspolitik mit den Folgen einer weiteren Diversifizierung von Verantwortung und Kompetenzen, ist kostentreibend und erschwert überregionale Angebotsplanungen, Kooperationen und die Etablierung bundeseinheitlicher, ökonomisch sinnvoller Qualitätsrichtlinien und deren Kontrollen. Zehn unterschiedliche Krankenanstaltengesetze und neun Chartas für PatientInnenrechte sind in einer Republik mit acht Millionen Einwohnern nicht sinnvoll.
Stärkung der Bundeskompetenzen und eine klare, verbindliche Rahmengesetzgebung, die auch die wohnortunabhängige Gleichstellung aller Patient*innen garantiert und ihnen bundesweit Chancengleichheit bei Prävention, Diagnose, Therapie und Rehabilitation sichert.
Eine stärkere Einbindung der Krankenkassen in die gesundheitspolitische Verantwortung und Planung gemäß ihrem Finanzierungsanteil an den Gesamtgesundheitskosten. Dies kann in Form von neuen oder modifizierten Leitungs- und Lenkungsstrukturen geschehen, in denen Kassen, Länder, Gemeinden und Staat langfristige gesundheitspolitische Strategien entwickeln um diese dann auch länderübergreifend, das heißt überregional, umsetzen. Die Zusammenführung von Finanzierungstöpfen und gesundheitspolitischer Verantwortung bei gleichzeitig besserer Vernetzung von niedergelassenem und stationärem Bereich könnte beispielhaft auch durch Übernahme von Krankenanstalten in die Kassenverwaltung erreicht werden
Die Autonomie und das Selbstverwaltungsprinzip der Kassen sind zu wahren, bzw. auszubauen, parteipolitischer Einfluss ist zugunsten von ExpertInnensystemen und parlamentarischer Kontrolle zu reduzieren. Zweifellos werden trotz Rationalisierung und Ausschöpfung von Sparmaßnahmen in Zukunft die Gesundheitskosten ansteigen. Dies dann, wenn der medizinische Fortschritt weiterhin solidarisch allen Betroffenen unbeschadet ihres Einkommens und Krankheitsrisikos (Zunahme von alten und chronisch Kranken) zukommen soll.
Wir GRÜNE sehen in diesem Falle die Möglichkeiten, einnahmenseitig in einem Expansionsmodell vorerst die Höchstbeitragsgrenze nach oben zu erweitern, in zweiter Linie sollten derzeitige Bemessungsgrundlagen auf ihre Sinnhaftigkeit und Fairness überprüft und dann verbreitert werden. Es ist auch daran zu denken, anstatt den Faktor Arbeit weiter zu belasten, Einkommen, die nicht aus direkter Arbeit resultieren (Gewinne aus Mieten, Grundbesitz und anderem Vermögen) anteilig in die Beitragsberechnung einzubeziehen