Prim. Dr. Kurt Stastka (GrünMed) hat als Leiter des Referats für Psychosoziale-, Psychosomatische-, Psychotherapeutische Medizin der WÄK und Stv. Kurienobmann Angestellte Ärzt*innen der WÄK als erster in Österreich „Physicans help Physicans“ als kostenlose Beratungsstelle in der WÄK eingerichtet.
In den USA ist „physician´s health“ schon sehr viel früher ein Thema gewesen als im deutschsprachigen Raum; erst seit etwa 20 Jahren stärker wahrgenommen; Studienlage aber bis heute nicht sehr groß – nicht nur, aber auch in Österreich immer noch ein Tabuthema? – Womit hat das zu tun?
Im Unterschied zu den USA beispielsweise hat Österreich erst seit 100 Jahren eine demokratische Kulturentwicklung, noch dazu unterbrochen von einer ideologischen Diktatur, in der Ärzte medizinisch identifiziertes unwertes Leben vernichtet haben, ein Vertrauensbruch in der Bevölkerung, der bis heute nachwirkt.
Vor dem 2. Weltkrieg gab es bereits psychosoziale Ambulatorien, betrieben von z.B. psychoanalytisch ausgebildeten Ärzt*innen. Diese Strukturen wurden zerstört, diese Ärzte haben das Land verlassen.
Bis heute gibt es ein reaktiv stark paternalistisches idealisiertes Ärztebild, das Schwäche nicht zulässt, auch aus unbewußtem Schuldgefühl generationsübergreifend. Wer sich für Schwache einsetzt wird schwach, ein ewiger Kreislauf der Stigmatisierung psycho-sozialer Zusammenhänge und Arbeitsfelder.
Bereits eine Reflexion über eigene Begrenztheit wird als Schwäche interpretiert, die Entwicklung einer Fehlerkultur behindert.
Eine Befragung durch die Wiener Ärztekammer aller angestellten Ärztinnen in Wien letztes Frühjahr nach dem dritten Lockdown hat allerdings ergeben, dass von den über 1000 auswertbaren Antworten der 5000 angestellten Ärztinnen sich 50% körperlich und psychisch erschöpft fühlt, 50% darüber nachdenken sich in einem Burnout zu befinden, und über 30% zu kündigen. Beachtlich war, dass 30% psychotherapeutische Hilfe gesucht haben. Die Coronakrise hat die vorbestehenden Mängel im Ausbau der ambulanten und niedergelassenen qualitativ hochwertigen Versorgung verschärft und kränkt die Gesundheitsberufe von Überlastunswelle zu Überlastungswelle immer mehr. Dies ist jetzt jedoch auch eine Chance für eine Belastungsumverteilung und Diversifizierung.
Ohne mehr Personal der Gesundheitsberufe und Veränderung der Organisationstrukturen wird dies nicht möglich sein, um wieder mehr bio-psycho-soziale Medizin und Pflege, spezifischer Therapie zu ermöglichen und die nunmehr zweijährige Krise mit allen Kollateralschäden und Langzeitfolgen aufarbeiten zu können.
Welche Bedeutung hat dabei das Rollenverständnis, das Ärzte von sich selbst haben und auch jenes Bild, das PatientInnen von dieser Berufsgruppe haben?
Die Konzentration auf das naturwissenschaftliche Paradigma vermittelt nach wie vor Machbarkeit, vernachlässigt jedoch individuelle Differenzierung und persönliche Auseinandersetzung.
Die Komplexität und das nichtkontrollierbare Bedrohungsgefühl hat längst zu einer psychosozialen hochemotionalisierten irrationalen Krise geführt.
Umso wichtiger ist es, seinen Vertrauensarzt zu finden, selbst für uns Ärzt*innen. Die Beratung und Teilhabe ist aufgrund der Komplexität extrem aufwändig , health literacy im Sinne verständlicher Übersetzung und geschulte Kommunikation mit Massenmedien muß erst entwickelt werden.
Wie kam es zur Gründung von „Physicians help Physicians“? – war die Corona-Pandemie der hauptsächliche Grund?
Die vorbestehend erhöhte Suizidrate von Ärzt*innen, und die Befragung waren die Gründe ein anonymes von der Wiener Ärztekammer finanziertes Angebot für Ärzt*innen auf Augenhöhe zu schaffen, unabhängig von Institutionen, von Kolleg*innen für Kolleg*innen im bekannten bio-psycho-sozialen Spannungsfeld.
Hat die Pandemie ein Problem verschärft, das aber schon lange vorher bestanden hat?
Beziehungsmedizin als therapeutisches Agens ist weiter eingeschränkt worden, Schichtbetrieb macht auf längere Sicht krank und verkürzt die Lebenserwartung; das Arbeitszeitgesetz wurde nicht ausreichend kompensiert mit Aufstockung nötiger Dienstposten, um kontinuierliche individuelle Behandlung zu ermöglichen; die Personalressource wurde von Welle zu Welle in die COVID19-Patientinnen investiert, mit allen Kollateralschäden für Sie und mich in der reduzierten Grundversorgung und der Angst der Menschen zum Arzt zu gehen.
Dies ist natürlich auch politisch fokussiert mit Vernachlässigung der Leistungen der Gesundheitsberufe und objektiver unabhängiger Wissenschaft.
Für uns klinisch tätigen Ärzt*innen stellt dies eine besondere Belastung und Verantwortung dar – verbunden mit Frustration ob der Geringschätzung und mittlerweile Aggression von nicht Wenigen.
Kränkung, Entwertung macht krank.
Ein Brennglas gesellschaftlicher Zerrüttung zwischen rücksichtslosem Hyperindividualismus und ausnahmsloser Zwangssolidarität. Was ist uns eine gute medizinische Versorgung wert? Wir bilden diejenigen aus, die uns behandeln werden, eine Investition in die Zukunft.
Laut internationalen Studien: Die Häufigkeit von Depressionen, Burnout, Suchterkrankungen und Suiziden ist unter ÄrztInnen höher als bei anderen Berufsgruppen – Welche Hauptfaktoren sind es, die bei Mediziner*Innen zu solchen gesundheitlichen Problemen führen?
Die Verantwortung für Leben und Tod, die Angst etwas zu übersehen und aufgrund fehlender Zeit und Ressourcen nicht ausreichend überlegen und im Team und mit den Patientinnen nicht ausreichend besprechen zu können; der hohe Anspruch an sich selbst, der industrialisierte Handlungsdruck.
Unterschiede zwischen niedergelassenen Ärzten und Spitalsärzten?
Der bürokratische Aufwand hat für beide massiv zugenommen, niedergelassene haben mehr Autonomie und Ausgleichsmöglichkeiten.
Die angestellten Ärztinnen sind im internationalen Vergleich schlecht bezahlt mit geringerer Autonomie, und müssen aus monetären Gründen Zusatzjobs annehmen oder das Opt Out aus dem KA-AZG wählen.
Bürokratie und Dokumentation konnte nicht ausreichend an andere Berufsgruppen abgegeben werden.
Gibt es Unterschiede zwischen den Fachrichtungen?
Die Anästhesie arbeitet sehr nahe mit dem Tod; die Zugänglichkeit zu Medikamenten ist erleichtert. Psychiaterinnen arbeiten mit Patientinnen mit hohem Leidensdruck und sind mit Selbst- und Fremdgefährdung, Suizidalität und Aggression ständig beschäftigt und unterliegen ebenso chronischer Stigmatisierung.
Haben Sie als Psychiater sehr viel mit psychisch belasteten KollegInnen zu tun?
Alle Fachrichtungen sind betroffen, konsiliarpsychiatrisch auch strukturell Teams, nicht nur Einzelpersonen.
Supervision, Intervision und Balintgruppen sind oft sehr hilfreich.
Ad Suchterkrankungen – Zu welchen Substanzen greifen Mediziner*innen vor allem?
Alkohol, aber auch Benzodiazepine, Schmerzmittel, selten Amphetamine oder Kokain.
Warum fällt es Ärzt*innen schwer, sich überhaupt Hilfe zu suchen?
Die Anonymitätshürde, das Aufrechterhalten einer Rollenbeispielsfunktion.
Sind Ärzte auch andere Patienten?
Das Wissen um Krankheiten ist viel höher, mit dem Nachteil, dass dies Angst und Ohnmacht verstärkt. Auch Ärzte müssen vertrauen.
Welche weiteren Überlegungen zur Prävention gibt es? Welche Einrichtungen sind bereits vorhanden?
Regelmäßige Supervision, eine Vertrauenskultur in Kolleginnen und andere Gesundheitsberufsgruppen, Balintgruppen.
Ärzte können lernen abzugeben, sich vertrauensvoll an Kolleginnen zu wenden und andere Berufsgruppen zu nutzen. Angrenzende Gesundheitsberufe (Pflege, Psychotherapeuten, etc.) müssen adäquat ausgebildet werden, interprofessionelle Zusammenarbeit gelernt werden.
Sollte das Thema Ärztegesundheit schon in der Mediziner*innen-Ausbildung stärker verankert sein?
Natürlich, interessant ist dass Medizinstudent*innen zu Beginn viele Erkrankungen selbst einfühlen, („Studium macht krank“), zu Ende des Studiums reaktiv die Empathie erheblich abnimmt.
Derzeit ist aus diesem Grund ein Pilotprojekt zu medical humanities in Ausarbeitung, interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe an einem Problem.
Gibt es außerdem Daten zum Gesundheitsverhalten von Ärzt*innen in Österreich? – Wie halten es Ärzte mit Vorsorgeuntersuchungen; im Krankheitsfall (krank zur Arbeit?); Tendenz zur Selbstbehandlung, bevor ein Fachkollege aufgesucht wird ( darauf deuten einige internat. Studien hin)?
Oft wird lieber eine Selbstdiagnose mit dem Risiko einer Fehldiagnose gestellt, als vertrauensvoll sich an Expertinnen zu wenden, um keine Schwäche zu zeigen.
Den Arzt, die Ärztin des Vertrauens zu finden ist für Ärzt*innen eine größere Hürde. In der Niederlassung als Selbständige ist die Erkenntnis einer Behandlungsbedürftigkeit mit der Angst der Existenzgefährdung verbunden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Prim. Dr. Kurt Stastka können Sie hier sehen:https://youtu.be/MUMx87Bv0Nc
Artikel „Corona und Psyche“ Februar 2022 S.14-15: doktorinwien 2022/02 (yumpu.com)
Artikel Juni 2021 Interview „Schauen Sie auf sich!“ S.20-21: doktorinwien 2021/06 (yumpu.com)
https://www.aekwien.at/physicians-help-physicians