Freiheit und Sicherheit, zwei Begriffe die Spannung hervorrufen. Die Corona Krise hat sie wieder in den Mittelpunkt vieler Diskussionen gestellt. Der Schutz von Leben und Gesundheit und die Aufrechterhaltung der Freiheitsrechte sind doch beide wichtig, oder? Wie kann das Dilemma dieser wichtigen Werte aufgelöst werden? Ist das überhaupt möglich?
Die Rechtswissenschaft sagt, die Abwägung nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit sei eine Lösung. Der Staat hat die Aufgabe sicherzustellen, dass regelnde Eingriffe in die Grundrechte und Freiheiten nur dann erfolgen, wenn diese unbedingt nötig sind. Klingt gut, aber die Spannung wird dadurch nicht aufgelöst. Auch die Freiheit, die vom Recht vorgegeben wird, muss abgesichert, geschützt werden. Und zu den Freiheitsrechten werden auch körperliche Unversehrtheit, Integritätsschutz und Lebensschutz gezählt. Kann daraus abgeleitet werden, dass die Aufgabe des Staates ist die Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich ihrer Gesundheit und ihres Lebens zu schützen? Das spricht doch für Einschränkungen, oder?
Sicherheitsdispositiv nennt das die Philosophie. Foucault hat schon darauf hingewiesen, dass mit dem Argument der Sicherheit immer mehr Lebensbereiche Kontroll-, Überwachungs-, Regulierungs- und normativen Maßnahmen unterstellt werden. Ein paradoxer Effekt, denn die Fixierung auf Sicherheit engt unsere Handlungsfähigkeit gleichzeitig immer weiter ein. Die Herstellung von Sicherheit erzeugt Unsicherheit. Da ist auch keine befriedigende Lösung.
Was beobachten wir im Zusammenhang mit Covid-19? Weniger die Furcht vor einer Krankheit. Vielmehr wird die Verteilung von Fällen in der Bevölkerung zu einer bestimmten Zeit und an bestimmten Orten gefürchtet. Es erfolgt eine Orientierung immer an der Grenze des aktuellen Wissens. Es wird immer mit dem Möglichen, mit Gefahren und Bedrohungen, die noch nicht eingetreten sind gerechnet. Bis zu welchen Grad können wir mit Unsicherheit leben, uns auf unsere eigenen Widerstandskräfte verlassen? Risikogruppen wurden gebildet, deren Risiken nicht gleichmäßig auf die Individuen verteilen sind. Es bestehen Differentialrisiken. Das Risiko kann in einem Moment oder an einem Ort stark zu- oder abnehmen. Die Praxis ist, dass Gesunde und Kranken nicht getrennt, sondern als Gesamtheit betrachtet werden, in der eine bestimmte, normale Zahl von Krankheits- und Todesfällen vorkommen darf. Im Vergleich zu dieser allgemeinen Normalitätskurve lassen sich günstige und ungünstige Kurvenverläufe unterscheiden, die wiederum Maßnahmen anstoßen. Diese bestehen weniger darin, die Krankheit gänzlich verhindern zu wollen, sondern darin, die Marker ihrer Verbreitung zu verringern. Das Sicherheitsdispositiv legt das Normale fest, die Norm wird davon abgeleitet.
Freiheit darf auch nicht als das Recht des Stärkeren missverstanden werden. Die Aufgabe des Staates ist auch der Schutz der Menschen voreinander. Freiheit wird dem Funktionieren der Gesellschaft untergeordnet. Freiheitsrechte sollen die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen berücksichtigen. Die Philosophen Hegel, aber auch Marx haben sich damit bereits beschäftigt. Ich soll frei in der Gesellschaft sein, bin aber nicht frei von der Gesellschaft. Wir lernen: Die Freiheit hat einen Preis, der festlegt, wie viel Freiheit möglich ist. Dieser Preis ist die Sicherheit. Ist das die zentrale Erkenntnis?
Unsere Aufgabe ist, sich der argumentativen Mühsal in der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit immer wieder aufs Neue auszusetzen. Denn die „Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft“ bleibt bestehen. Angesichts großer politischer Aufgaben wie allen voran die Bewältigung der Klimakrise ist das sogar existenziell. Zielkonflikte sind auch in der Klimapolitik an der Tagesordnung. Wie so oft bedarf es kluger Differenzierung.
(Michael Lazansky)