Reden wir endlich über das „Wiener Modell“!
Streik ist das letzte, nicht das erste Mittel der politischen Auseinandersetzung
Wir – die Wiener Allgemeinmediziner*innen – sollen streiken, lässt uns die Österreichische Ärztekammer über den Kollegen Steinhart mitteilen, und zwar aus Protest gegen die §-15a-Vereinbarung, derzufolge zahllose Ordinationen von der Schließung bedroht seien.
Nun, wir haben keinen Grund, unsolidarisch zu sein, aber einige Fragen hätten wir schon:
Da die geplanten §-15a-Vereinbarungen über die Kostendämpfungen im Gesundheitsbereich die gesamte Ärzt*innenschaft – sowohl den Niedergelassenen- als auch den Angestellten-Bereich – nachhaltig betrifft, können wir nicht nachvollziehen, warum lediglich die Allgemeinmediziner*innen streiken sollen. Warum sollen ausschließlich die allgemeinmedizinischen Kassenärzt*innen, insgesamt rund sechs Prozent der Ärzt*innenschaft, diesen sogenannten „Streik“ tragen? Warum soll gerade diese Berufsgruppe, die besonders nah und unmittelbar mit den akuten Problemen von Patient*innen befasst ist, den schmerzhaften und unpopulären Teil des Protestes übernehmen, während Fach- und Wahlärzt*innen ihren Terminpatient*innen anscheinend keine Umbuchungen zumuten können!? Wir vermissen Solidarität. Abgesehen davon überrascht es uns, dass die Streikanordnung nicht aus unserer unmittelbaren Interessensvertretung kommt, nämlich der Sektion Allgemeinmedizin der Wiener Kammer. Dort ist man bislang schweigsam und offensichtlich ratlos. Keine eilig einberufene Sektionssitzung, in der geordnete Informationen an die Kolleg*innenschaft weitergegeben werden; von den geplanten Arbeitskampfmaßnahmen wurden weder die Bezirksärztevertreter*innen noch die Mitglieder der Sektion informiert.
Das ist bedauerlich, denn wir wären sehr daran interessiert, von unserer Sektion zu hören, was denn die genauen Streikziele sind, welche Konzepte sie für die Weiterentwicklung der Allgemeinmedizin favorisiert, was sie gegen die schwindende Bereitschaft tun will, Ordinationen zu übernehmen, was ihre Strategien gegen die katastrophale Entwicklung in der Ausbildung der nächsten Generationen von Allgemeinmediziner*innen sind. Doch die Sektion antwortet nicht auf unsere Fragen. Das einzige Streikziel scheint zu sein: Alles muss so bleiben wie bisher! Darin unterscheiden wir uns allerdings von der Sektion und ihren Wortführer*innen. Wir arbeiten seit Monaten gemeinsam mit Verteter*innen der Kammer und mit der Stadt Wien an einer Neuaufstellung für die Allgemeinmedizin in Wien – das „Wiener Modell“. Dieses Modell eröffnet für engagierte Kolleg*innen auf allen Ebenen der Versorgung – von der Einzelpraxis über die Gruppenpraxis bis zum PHC – Möglichkeiten, zahlreiche der derzeitigen Probleme (Zeitdruck, Vertretungen, Leistungsverrechnung, Delegierung von Leistungen an andere Gesundheitsberufe etc.) wesentlich besser zu bewältigen. Es liegt fix und fertig in den Schubladen von Kammer, GKK und Stadt Wien, aber noch fehlt der politische Gestaltungswille, endlich einen entscheidenden Schritt nach vorne zu gehen. Wir bieten dem Kollegen Steinhart an, diesen Schritt gemeinsam mit uns und den übrigen Stakeholdern gemeinsam zu gehen. Reden wir endlich über und beschließen wir gemeinsam das „Wiener Modell“!
Die Österreichische Ärztekammer hat zu einem Streik- und Aktionstag aufgerufen und es den Ländern freigestellt, Art und Umfang dieses Protestes zu bestimmen. Wir fordern die Kolleg*innen auf, von diesem Recht auch auf der individuellen Ebene Gebrauch zu machen und den Patient*innen die berechtigten Sorgen und Anliegen der Ärzteschaft in einer angemessen erscheinenden Art und Weise näherzubringen. Ob die versperrte Ordinationstür die optimale Art ist, dies zu tun, stellen wir zumindest in Frage.
Dr. Franz Mayrhofer, Obmann der Grünen Ärztinnen und Ärzte