Warum ergreifen immer mehr Frauen den Arztberuf?
Der ärztliche Beruf war immer schon und ist immer noch ein sehr attraktiver Beruf. Warum sollte das für Frauen anders sein als für Männer. (In Meinungsumfragen über das Ansehen von Berufen in der Bevölkerung ist der ärztliche Beruf häufig an erster Stelle genannt) Allerdings durften Frauen lange nicht an diesem Beruf partizipieren. Akademisch ausgebildete Ärzte gibt es seit der Antike, die Uni Wien seit 1365, aber Frauen durften in Österreich erst Ende des 19. Jahrhunderts Medizin studieren. Gabriele Possanner promovierte als erste Frau in Österreich 1897. Jetzt sind Frauen im Studium in gleicher Weise repräsentiert wie Männer, es wird in den Zulassungsprüfungen für das Studium auf Genderneutralität geachtet und das spiegelt sich in den Statistiken wider.
Was bedeutet das für die Führungsebenen?
Für die Führungsebenen bedeutet das, dass sie es mit einer anderen Mitarbeiterstruktur zu tun haben als noch vor einigen Jahrzehnten, mit Beschäftigten mit unterschiedlichen Lebensweisen und Bedürfnissen. Eine Berücksichtigung dieser Bedürfnisse ist nicht nur aus gesellschaftspolitischen Gründen notwendig, sondern auch relevant für das Unternehmen, also dem Krankenhausbetrieb. So übernehmen Frauen nach wie vor einen Großteil der Kinderbetreuungspflichten, der Angehörigenarbeit und der Hausarbeit. Viele Frauen (aber auch Männer) wollen heutzutage Familie und Beruf vereinbaren können. Das funktioniert nur, wenn das Management dies auch akzeptiert. Dazu kommt ein drohender Ärzt*innenmangel und es könnte die Situation eintreten, dass sich Mitarbeiter*innen ihr Beschäftigungsverhältnis nach der Attraktivität der Arbeitsbedingungen aussuchen.
Haben Frauen einen anderen Führungsstil? Inwiefern?
Um diese Frage ausreichend beantworten zu können, müssten wir gleich viele weibliche wie männliche Führungskräfte haben, um einen aussagekräftigen Vergleich bewerkstelligen zu können, das ist aber nicht der Fall. In Österreich sind aktuell ungefähr 10 – 20% der Primariate von Frauen besetzt. Ich persönlich glaube, dass der geschlechtsspezifische Unterschied im Führungsstil gering ist und einige Studien sprechen auch für diese Ansicht. Man kann nicht einfach sagen, der kooperative oder transformative Führungsstil ist besser als der direktive oder der laissez faire Führungsstil, da es immer auch auf die Randbedingungen wie Art der Arbeitsaufgaben und Persönlichkeiten der Mitarbeiter ankommt. Es gibt Hinweise darauf, dass Frauen in manchen Dingen andere Wertvorstellungen haben, z.B. dass sie sich eher für flexible Arbeitszeiten und Kinderbetreuung einsetzen und Männer für Dienstautos und Handys. Es gibt außerdem Studien, die belegen, dass ein hoher Frauenanteil im Management, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens stärkt.
Was würde es brauchen, damit mehr Frauen in die Führungsebene aufsteigen?
Akzeptanz und Unterstützung, Mentoring, Netzwerke und Frauenquoten.
Was halten Sie von Frauenquoten?
Ich bin ein absoluter Befürworter von Frauenquoten, denn darauf zu warten, dass sich die Dinge von alleine regeln funktioniert nicht. Argumente gegen Frauenquoten sind hauptsächlich Versuche alles beim Alten zu belassen und bei näherer Betrachtung entpuppen sie sich als nicht haltbar. Zum Beispiel die Ansicht, dass es nicht genug Frauen gäbe, die Karriere machen möchten, weil Frauen eher zurückhaltend sind und sich dem Stress einer Führungsverantwortung nicht aussetzen wollen. Das ist ein krasses Fehlurteil, wenn man Frauen lässt, dann machen sie auch (wie bei der Eingangsfrage schon besprochen).
Dann herrscht die Meinung Frauenquoten würden dazu führen, dass minder qualifizierten Frauen der Vorzug gegeben würde mit negativen Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen. In Wahrheit ist es häufig so, dass Bewerberinnen höher qualifiziert sind als Bewerber und trotzdem den Job nicht bekommen.
Ich höre immer wieder, dass Frauen, die kompetent, gut ausgebildet und sozial qualifiziert sind, keine Quoten benötigen, ihre Leistungen würden für sich sprechen und diese Frauen würden selber gar nicht wollen, dass sie über eine Quotenregelung den Job bekommen. Ja es gibt Frauen, die tolle Karrieren in der Medizin gemacht haben und sie haben alles Recht stolz darauf zu sein. Einige dieser Frauen neigen aber dazu, sich vom Feminismus abzugrenzen als nicht notwendig und erforderlich, da sie ja selbst das beste Beispiel wären. Sie hätten es geschafft ohne Frauenförderung und ohne Quoten und Feminismus würde in ihrem Leben keine Rolle spielen. Diese Frauen übersehen die Realitäten, sozialen Bedingungen und wirtschaftlichen Ressourcen vieler anderer Frauen.
Interessanterweise haben Männer meist kein Problem damit, eine tolle Position anzunehmen, die sie ausschließlich oder vorwiegend Kontakten und Netzwerken verdanken. Männer haben diesbezüglich weniger Skrupel.
Müssen Frauen in der Medizin zusätzlich gefördert werden? Wenn ja, wie?
Vor allem auch im medizinischen Wissenschaftsbetrieb ist die Gendergerechtigkeit noch nicht eingetreten. Mit der berühmten „leaky pipeline“ lässt sich sehen, dass viele Frauenkarrieren vorzeitig enden und nur wenige Forscherinnen an die Spitze kommen. Der Anteil der Frauen an den Medizinprofessuren ist immer noch gering. Auch hier müsste meiner Meinung nach mit gezielten Programmen angesetzt werden, wobei die Universitäten dies eingesehen haben und sich auch darum bemühen. Aber nach wie vor werden bei Vergabe der Forschungsaufträge und Förderungsgelder Männer bevorzugt. Auch hier wäre eine Quote sinnvoll.
Warum braucht es Gendermainstreaming und Diversity Management im Gesundheitswesen?
Der demografische Wandel und die zunehmende Pluralität einerseits und ein Wertewandel hinsichtlich der Berufs- und Lebensbedingungen andererseits in der Ärzteschaft bedingt die Notwendigkeit die Arbeitsbedingungen an die unterschiedlichen Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen anzupassen. Eltern, Alleinerziehende, Singles, ältere und jüngere Menschen und Menschen mit unterschiedlicher Herkunft gibt es auch in der Ärzteschaft mit differierenden Interessen und Lebensstilen. Arbeitsbedingungen, Fortbildungsmaßnahmen und Karrieremöglichkeiten müssen für alle gleichermaßen zugänglich sein.
Gendermainstreaming und Diversity Management versucht auf unterschiedlichen Ebenen mit vielfältigen Strategien wie z.B. Teilnahme an Ausschüssen und Sitzungen, Organisation von Veranstaltungen und Fortbildungen eine Sensibilisierung für die Thematik zu erzielen. Konkrete Beispiele wären: Diskussion und Ausarbeitung von flexiblen Arbeitszeitmodellen und geteilter Führung gerade auch im Krankenhaus, Hinweis auf die Situation von Mitarbeiter*innen in prekären Arbeitsverhältnissen, Ausarbeitung und Durchführung von Mentoringprogrammen, Anregung und Durchsetzung einer gendersensiblen Sprache, Wiedereinstiegsprogramme nach Karenzen, Väterkarenz, ältere Beschäftigte und Ihre Bedürfnisse und einiges mehr. Auch für den niedergelassenen Bereich gibt es Überlegungen sich Ordinationen und Praxen zu teilen und zu organisieren. Diese Konzepte und Programme funktionieren nur dann gut, wenn sich jemand oder besser noch eine Institution um die Umsetzung kümmert. Ein gut funktionierendes Gesundheitswesen garantiert schlussendlich auch die qualitative Aufrechterhaltung unserer medizinischen Versorgung.
Ist unsere Gesellschaft – und in unserem Fall insbesondere die Medizin – bereit für ein Umdenken und ein neues Bewusstsein für Genderfragen?
Ja, ich denke schon. Und an aktuellen Debatten rund um den „Gender pay gap“, „me too“ und „gendersensibler Sprache“ lässt sich erkennen, dass es ein Umdenken gibt. Es lässt sich aber auch erkennen, dass diese Themen oft emotionalisiert sind und, dass es auch große Widerstände in Richtung einer ernsthaften und strukturellen Veränderung gibt.
Was würden Sie sich für das Thema Frauen in der Medizin wünschen?
Gleichermaßen Wertschätzung von Frauen und Männern auf allen Ebenen, sodass es eines Tages nicht mehr notwendig ist diese einzufordern. Bis dahin benötigen wir die schon erwähnten Programme und vor allem auch die finanziellen Ressourcen diese Programme umzusetzen.
Dr. Cornelia Hieber, MBA
ist Expertin für Gendermainstreaming und Diversity Management